Trans*Pride Berlin 2022

Hallo trans*, inter* und nicht-binäre Menschen, hallo Queers und Verbündete!

Wir sind nonbinary.berlin, eine Community von nichtbinären Menschen, die sich seit 2018 in dieser Form organisiert. Wir treffen uns regelmäßig jeden Monat, organisieren Veranstaltungen, haben Spaß, reden über Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, spielen Spiele oder hängen einfach zusammen ab, unterstützen uns gegenseitig oder machen politische Aktionen.

Wir waren vor einem Jahr auch auf dieser Bühne und haben neben anderen Themen, darüber gesprochen, dass unser Recht auf Selbstbestimmung endlich gesetzlich anerkannt werden muss. Jetzt ist ein Jahr vergangen und wir könnten die gleiche Rede fast noch einmal halten.

Aber nicht ganz, denn es gibt eine neue Regierungskoalition, die Veränderungen versprochen hat. Die Initiator*innen der bisherigen Vorschläge für ein Selbstbestimmungsgesetz stellen jetzt die Regierung. Vor ein paar Wochen haben sie angekündigt, dass sie nun endlich ein Selbstbestimmungsgesetz umsetzen wollen. Wir wollen euch nochmal einen kleinen Überblick darüber geben, was sie vorschlagen:

  • jede erwachsene Person bekommt die Möglichkeit bei einem Standesamt ihren Personenstand zu ändern oder streichen zu lassen und ihren Vornamen zu ändern – und das durch eine Erklärung mit Eigenversicherung und ohne ärztliche Attests oder Begutachtungen. Nach einem Jahr lassen sich Einträge erneut ändern.

  • Der Personenstand von Kindern und Jugendlichen unter 14 Jahren kann von den Eltern geändert werden. Für Personen zwischen 14 und 18 Jahren müssen die Eltern zustimmen.

  • Mit dem neuen Gesetz wird eine Änderung des Personenstandes zu einem standesamtlichen Vorgang wie jeder andere.

  • Es wird verboten Menschen zu outen, indem man sich auf den vorherigen Namen oder alten Personenstand bezieht und ein solches fremdbestimmtes Outing wird mit Bußgeld bestraft.

  • Trans* und inter* Personen die unfreiwillig sterilisiert oder körperlich verletzt wurden, werden entschädigt.

Allerdings wurden in dem Eckpuntke-Papier medizinische Leistungen komplett außenvorgelassen. Dahinter steckt wohlmöglich die Taktik Veränderungen in kleinere Gesetzgebungsverfahren aufzuteilen, die dann leichter und schneller durchzubekommen sind. Dieser Ansatz könnte sinnvoll sein, allerdings bleibt jetzt noch vieles abzuwarten: Die Übernahme von Kosten von trans* Medizin, also von Maßnahmen, die den Ausdruck und das empfinden der geschlechtlichen Identität bestätigen, bleibt offen: Wird es weiterhin pathologisierende Prozesse geben, obwohl es ein neues Gesetz gibt? Oder wurde eine Tür geöffnet, um von Krankenkassen die Unterstützung der medizinischen Maßnahmen zu fordern?

Und was mit trans* und nicht-binären Kindern und Jugendlichen, die nicht von ihren Eltern unterstützt werden und es nicht schaffen vor Gericht zu ziehen? Werden sie gezwungen sein durch eine Pubertät zu gehen, die ihnen nicht entspricht und müssen sie mit ihren alten Namen und Personenständen leben? Das neue Gesetz soll angeblich Beratung und rechtliche Unterstützung beinhalten, aber wir brauchen spezfische und konkrete Zusagen.

Das Gesetz, welches Inter* Kinder davor beschützt, nicht eingewilligte und nicht umkehrbare Operationen an ihrem reproduktiven System und ihren Genitalien zu erleiden, weist gravierende Lücken auf. Diese ermöglichen es Mediziner*innen Eingriffe als medizinisch notwendig zu bewerten und liefert Kinder den subjektiven Interpretationen und normierenden Vorstellungen von Eltern und Mediziner*innen aus.

Eine Entschädigung für trans, inter* und nicht-binäre Menschen, die gezwungen wurden medizinische Eingriffe vorzunehmen, ist nicht genug! Es braucht eine umfassende Auseinandersetzung mit dem geschehenen Unrecht und dem daraus entstandenen Leid! Das ist der einzige Weg um sicherzugehen, dass solche Gesetze nie wieder erlassen werden und solche Eingriffe nie wieder passieren.

Und noch etwas, und ich bin mir sicher, viele von euch kennen diese Probleme, die weiterhin nicht gelöst sind. Welche Maßnahmen müssen Unternehmen und öffentliche Institutionen ergreifen um Diskriminierung gegenüber nicht-binären, inter und agender Menschen zu verhindern? Müssen sie ihre Formulare um andere Geschlechtsangaben als Mann oder Frau erweitern? Geschlechtsneutrale Anreden etablieren? Müssen sie geschlechtsneutrale Toiletten und Umkleidekabinen in ihren Räumlichkeiten einrichten? Wir denken, dass sie das müssen!

Die Politiker*innen schreiben auf ihrer Website, dass das Gesetz den Prozess für alle trans*, inter* und nicht-binären Menschen vereinheitlichen soll. Anscheinend haben sie keine Ahnung, was es heißt trans*, inter* oder nicht-binär zu sein, denn gleichzeitig sprechen sie auf der Bundespressekonferenz davon, dass ein würdevoller Prozess stattfinden sollte für Menschen „die mit sich selber eine sexuelle Identität ausgemacht haben oder die einfach haben und deren biologisches Geschlecht abweicht.“

Wir haben mit Entsetzen festgestellt, dass der Justizminister wiederholt gesagt hat, dass nicht endo und cis zu sein, keine psychische oder körperliche Krankheit sei und dass wir DAHER verdient haben mit Respekt und Würde behandelt zu werden. Das neue Gesetz soll uns ein stück weit Normalität ermöglichen.

Erstens, lieber Minister, wir wollen deine cis-sexistische Normalität nicht! Wir sind nicht hier, weil wir anstreben „normal“ sein zu wollen, zumindest nicht, solange das bedeutet cis und endo-geschlechtlich zu sein.

Zweitens: Viele von uns haben mit psychischer Gesundheit und Behinderungen zu kämpfen, zum Teil wegen des Traumas, der Übergriffe und der Brutalität einer binären und cis-sexistischen Gesellschaft. Und auch mit diesen Schwierigkeiten und Bedingungen verdienen wir Respekt und eine würdevolle Behandlung sowie Unterstützung des Staates. Wir und alle anderen körperlich oder mental be_hinderten Personen in Deutschland und weltweit haben Selbstbestimmung, faire medinizische Behandlungen und Unterstützung verdient, wenn wir sie brauchen. Gebraucht uns nicht für eure ableistische Agenda und steckt uns nicht in eure Schubladen für „normale“ Menschen!

Aus diesem Grund brauchen wir auch keine extra-Gesetze für trans*, inter* und nicht-binäre Menschen. Dieses Gesetz sollte für jede sein, die ihren Namen, ihren Personenstand oder eben ihren Namen und ihren Personenstand ändern möchte. Gleichheit beginnt mit gleichen Rechten für alle. Wir sollten außerdem fragen – Warum beginnt Selbstbestimmung über den eigenen Körper, das Geschlechtsempfinden und Namen erst mit 18? Wie können wir denn sicherstellen, dass Betreuende und legale Vormunde nicht gegen den Willen junger Menschen unter 18 handeln?

Gesetze und die Kämpfe um Gesetzesänderungen sind wichtig, aber wir können uns für die Erfüllung unserer Bedürfnisse nicht auf Regierungen und Gerichte verlassen. Es gibt andere Dinge, die uns wichtig sind und andere Wege auf denen wir für einander da sein können und uns unterstützen können.

Wir sind durch ein paar harte Jahre gegangen - manche mehr andere weniger. Alle von uns haben die Isolation durch COVID erlebt und damit gekämpft Beziehungen und Aktivitäten aufrechtzuerhalten. 2019 haben wir große Demonstrationen und viele Veranstaltungen organisiert und bis heute sind viele von uns noch nicht wieder in der Lage an diesen Dingen teilzunehmen. Viele Menschen, insbesondere rassifizierte und migrantisierte, und klassistisch diskriminierte Menschen und Gruppen wurden von COVID hart getroffen. Es gibt oft das Gefühl, dass maus alleine ist und dass Isolation und physische Distanz der einzige Weg ist, um sich zu schützen. - Aber wir wissen, dass Vertrauen in unsere Communities ein wichtige Strategie zum Überleben ist. Für viele von uns ist das absolut notwendig. Solidarität und Fürsorge können unsere größte Stärke sein! Also, lasst uns zusammenhalten, füreinander sorgen und zusammen sein!

In diesem Kontext sollte nicht unerwähnt bleiben, dass in diesem CSD-Monat nicht konsequent dazu aufgerufen wurde auf Demonstrationen Masken zu tragen – obwohl in den vergangenen Wochen haufenweise Menschen in unseren Communities sich mit Covid infiziert haben. Das bedeutet, dass Menschen mit einem höheren Gesundheitsrisiko, ältere menschen und jene mit gesundheitlichen Schwierigkeiten oder Be_hinderungen von diesen Demos de facto ausgeschlossen wurden. Das sollten wir besser machen! Wir müssen Wege finden, wirklich solidarisch zu sein, wenn wir Veranstaltungen und politische Aktionen organisieren, sodass alle teilnehmen können.

Wenn du nicht-binär bist und Probleme hast mit anderen in Kontakt zu kommen, schließ dich unserer Gruppe an. Du bist nicht alleine und niemand muss alleine klarkommen!

Ihr findet uns unter nonbinary.berlin online, auf Facebook, Instagram und direkt hier auf der Demo.

Wir wollen, dass alle über ihr Geschlecht selbst bestimmen können.
Wir wollen, dass alle ihren Namen frei wählen können.

Wir sagen:

Trans* Rechte sind Menschenrechte!
Inter* Rechte sind Menschenrechte!
Nicht-binäre Rechte sind Menschenrechte!

Letztes Update: 2022.07.31